20.12.2022

NACHGEFRAGT
 

Consolidated Tape

Die Zeit für den Börsenticker drängt

Interview mit Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI

Die EU-Kommission hat die Einführung eines Consolidated Tape (CT) für Aktien, ETFs, Renten und Derivate vorgeschlagen. Derzeit laufen die Diskussionen in EU-Kommission und Rat über die Ausgestaltung eines Aktientickers. Für Fondsgesellschaften ist zusätzlich ein Rententape wichtig. Inzwischen drängt die Zeit.

Herr Richter, sind Sie mit dem Vorschlag der EU-Kommission zu einem Echtzeit-Börsenticker zufrieden?

Ja, es wird endlich Zeit, einen Aktienticker einzuführen. Die USA haben das seit den 1970iger Jahren. Er würde die Finanzwirtschaft sowie ihre Kunden unabhängiger von den Datenanbietern machen und zu mehr Transparenz und einer spürbaren Kosteneinsparung führen. Alle Anleger hätten unmittelbaren Zugang zu den Marktpreisen und einen einheitlichen Überblick über sämtliche Börsenkurse in der EU zu vergleichsweise geringen Kosten. Der Zugang zu Aktien würde damit erleichtert. Zudem ist ein „Consolidated Tape“ wichtig für die europäische Kapitalmarktunion, die einen EU-weiten Binnenmarkt für Kapital schaffen will. Die Sichtbarkeit des EU-Aktienmarktes würde durch eine vom Aktienticker zusätzlich angebotene, kostengünstige EU-Aktienindexfamilie mit allen Unternehmen wesentlich gesteigert.

Soweit zum Idealbild. Leider ist die Politik nicht so weit. Denn derzeit soll der Börsenticker zunächst nur ausgeführte Transaktionen, aber kaum vorbörsliche Preise anbieten. Die von den Börsen vorgeschlagene Zeitverzögerung bei der Veröffentlichung der Marktdaten von einer Minute ist nicht akzeptabel. Ein solcher Aktienticker wäre für die institutionellen Anleger in der Praxis wertlos. Ein Consolidated Tape für Aktien und ETFs sollte die Daten im Sekundentakt melden, damit der Portfoliomanager den aktuellen Markt für das Wertpapier sehen kann. Das ist ein angemessener Kompromiss – schnell genug für einen aktuellen Marktüberblick, aber deutlich zu langsam für Broker und Hochfrequenzhändler, die im Millisekundentakt oder schneller arbeiten. So bleibt weiterhin Geschäftspotenzial für die Börsen. Aber noch mehr als ein Consolidated Tape für Aktien benötigen Fondsgesellschaften einen Rententicker.
 
Warum ist ein Rententicker noch wichtiger?

Die Transparenz über Preise und Transaktionen ist im Rentenmarkt verglichen mit Aktien sehr schlecht, da der Handel überwiegend bilateral und nicht über die Börsen stattfindet. Zudem sieht die MiFID lange Veröffentlichungsfristen für Renten-Transaktionen von teilweise mehr als vier Wochen vor, und es fehlen standardisierte Daten. Ein Tape für Anleihen ist daher für mehr Effizienz und Transparenz unverzichtbar. Anders als beim Aktienticker reichen hier aber die Daten der ausgeführten Geschäfte mit einer Zeitverzögerung von einer Minute völlig aus. Wichtig sind jedoch eine verbesserte Datenqualität, verkürzte Veröffentlichungsfristen und eine Einbeziehung aller in der EU gehandelten Unternehmens- und Staatsanleihen.

Wann wird sich die EU zum Consolidated Tape festlegen?

Hoffentlich noch im ersten Quartal 2023. Dann wäre genug Zeit für die EU-Gesetzgeber, die notwendigen Vorschriften rechtzeitig vor den Wahlen zum EU-Parlament 2024 zu verabschieden. Sollte das nicht möglich sein, würde sich die Einführung eines EU-Tickers um mehrere Jahre verschieben, zum Nachteil der Finanzmärkte und insbesondere der Anleger.

Die Fragen stellte Christiane Lang, Internetredaktion.

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